Moment mal
von Pfarrer Tilmann Kuhn
Ein Schiff wird kommen
Ach was war das für eine heile Welt damals! Man konnte etwas erwarten. Man konnte alle Träume und Sehnsüchte hineinlegen und die virtuelle Realität im eigenen Kopf aufscheinen lassen. 1959 sang Lale Andersen 'Ein Schiff wird kommen...' Caterina Valente, Dalida, Nana Muskouri und in letzter Zeit Andrea Berg stiegen in das Schiff und sangen neben vielen anderen diesen Schlager. Und auch ich, der ich drei Jahre später das Licht der Welt erblickte, habe mit diesem Lied gelebt und darin ein Stück von heiler Welt des sonnigen Griechenland erfahren. Und durch meine Träume geistert so manches mal die Bouzuki und der Refrain 'Ein Schiff wird kommen und meinen Traum erfüllen und meine Sehnsucht stillen, die Sehnsucht mancher Nacht.'
Allerdings hat sich meine Sehnsucht anders entwickelt, als es der Schlager vielleicht nahelegt. Es ist daraus geworden die Hoffnung auf den, der da kommt im Namen des Herrn. Im Advent wird Jahr für Jahr diese Hoffnung aufgerufen mit den aufeinander aufbauenden Adventssonntagen. Jeder Sonntag hat sein Thema, das vom Sonntagsevangelium bestimmt wird. So geht es am 1.Advent um den kommenden Herrn, das Evangelium berichtet vom Einzug Jesu in Jerusalem. Die drei weiteren Sonntage handeln vom kommenden Erlöser, von Johannes dem Täufer, der auf Jesus als Herrn weist, und von der nahenden Freude. Nicht Vorfreude im Advent, sondern gut begründete Hoffnung auf den Kommenden findet hier neue Nahrung. Jesus von Nazareth, arm und ohne Obdach geboren in Bethlehem, trägt die Ansage von Gottes Gerechtigkeit in unsere Welt. Woraus sich eine der stärksten Hoffnungen auf grundlegende und dauerhafte Verbesserung der Welt speist.
Eines unserer schönsten Adventslieder handelt von dieser guten Hoffnung. 'Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein' höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewig's Wort.' Auch hier wird von den mittelalterlichen Mystikern um Johannes Tauler eine heile Welt beschrieben: die Schwangerschaft Marias, der Mutter Jesu. In ihr konzentriert sich die Sehnsucht nach einer heilen Welt so sehr, daß sie als rein gilt, ungetrübte und unbefleckte Wesenheit des himmlischen Reiches. So sind es altvertraute Bilder und Ausdrucksweisen, die sich in Schlagern wiederfinden und auch heute noch ungezählten Menschen aus dem Herzen sprechen.
Nur hat der Schlager auch seine Kehrseite. Meist ist es die Unerfüllbarkeit der Sehnsucht. Im oben angesprochenen Schlager vom kommenden Schiff ist es die Realität dahinter, die wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Er entstammt letztlich einer Filmmusik aus dem Film 'Sonntags ... nie!' des Regisseurs Jules Dassin. Dessen Frau Melina Mercouri spielt die Hauptrolle - als Prostituierte, die im Hafen von Piräus auf Schiffe mit Kunden wartet.
Der Schlager versetzt den Hörer in einen idealtypischen Zustand des Lebens, der aus der Realität hinausführt. Wenn ich das Kirchenlied singe, weiß ich, daß der, der da kommt, mich in meiner Realität aufsucht. Darauf lasse ich mich in zunehmendem Maße ein, je öfter ich Adventszeit feiere. Zur Christgeburt ist das Schiff an Land angelangt, es ankert bei mir.
Das Schiff der Sehnsucht ist übrigens auch angekommen. 1961 sang Evelyn Künneke 'Das Schiff ist endlich da!'. Mit erfahrungspsychologischem Weitblick heißt es darin: hoffentlich läuft dieses Schiff, dieses Schiff, dieses Schiff nicht mal auf ein böses Riff, böses Riff, böses Riff!
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