Moment mal
von Pfarrer Tilmann Kuhn
Mitten im Leben
Ein klein wenig Wehmut erfüllt mich, als mein Blick auf den so schön herausgeputzten Jugendlichen ruht. Zwei Jahre habe ich sie begleitet im Unterricht. Wir haben an zwei langen Wochenenden miteinander gelebt, gespielt, gegessen und gearbeitet. Sie sind mir ans Herz gewachsen, wie ihre Vorgänger seit zwanzig Jahren. Und die Wehmut mischt sich mit dem Gedanken, daß das Ja, heute von Ihnen zu einem Leben im christlichen Glauben gesprochen, so klar nicht bleiben wird. Niemand weiß den Weg im Voraus. Keiner kennt zuvor die Entwicklung der Ansichten und Meinungen. Ein Ja, einmal gesprochen, bleibt zerbrechlich und will gepflegt werden. Meine eigenen Ja-Worte ziehen an meinem inneren Auge vorüber. Das Ja zu meinen Eltern und Geschwistern, zu Frau und Kindern, zu Beruf und Lebensort, zu den Menschen, die in meinem Blickfeld leben - was hat davon auch nach lange währender Zeit Bestand? Wird für die Jugendlichen, heute konfirmiert, ihr Ja zu Jesus Christus wichtiger werden im Laufe ihres Lebens, so, wie es für mich wichtiger geworden ist? Viele wenden sich ab, die einst Ja zu ihm gesagt haben. Viele geben ihren Glauben auf, treten aus der Kirche aus oder brauchen zumindest die Gemeinschaft der Gläubigen nicht mehr. Ist das ein allgemeiner Prozess, eine typisch menschliche Entwicklung?
Die meisten von denen, die 1988 und 1989 dem sozialistischen Staat den Rücken gekehrt haben, haben während der Zeit des Sozialismus im Ostteil Deutschlands mit der Jugendweihe ihr Ja zum sozialistischen Staat gesprochen. Die selbstverständliche Erwartung der DDR-Führung, sie an sich binden zu können, sie zu sozialistischen Persönlichkeiten heranreifen zu sehen, hatte sich nicht erfüllt. Was ist ein Ja wert, das gesprochen wird?
Es ist so viel wert, wie wir den Mut und den langen Atem aufbringen, es zu erneuern. Das Ja in unserem Leben braucht es, daß wir es leben. Jesus ermahnt in der Bergpredigt: 'Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.' Das ist im Zusammenhang mit der Fragwürdigkeit des Schwörens gesagt. Nach Jesu Auffassung soll niemand schwören. Denn ein äußerliches Gebundensein wird nur gelingen, wenn man sich innerlich bindet, es also bewußt will. Dann aber stellt sich automatisch die Frage, ob es eines Schwurs bedarf. Und zusätzlich sind die Konsequenzen eines gebrochenen Eids wesentlich fataler, als wenn die Person klar sagt, daß sie ihre Meinung geändert habe. Die Probleme von Politikern, die ihrem Amtseid zuwidergehandelt haben, sind vor aller Augen.
So braucht das Ja in unserem Leben vor allem Freiheit, sich zu entfalten. Frisch Konfirmierte spüren sicher zunächst Erleichterung darüber, daß die beanspruchende Zeit des Unterrichts zu Ende gegangen ist. Es kommen nun die Zeiten ihrer Entwicklung und ihres Lebens, in denen das heute gesprochene Ja bewährt sein will. Es ist eine Station auf ihrem Weg. Mitten im Lebensvollzug gesprochen, wird es zu einem Signal, das innehalten läßt im Rückblick auf die Taufe, dann aber auch weiterfahren heißt. Getrost und unverzagt darf in Fahrt kommen, wer im eigenen Ja eine Antwort auf das Ja Gottes zu sich selbst spricht.
So atme ich einmal tief durch und gebe die Konfirmierten frei, auf daß ihr Ja sich entfalten kann.
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