Moment mal
von Pfarrer Albrecht D. Preisler
Überall in unseren Kirchen wird Erntedankfest gefeiert. Unsere Kirchen sind geschmückt mit den Gaben des Feldes und der Gärten. Die Altäre sehen festlich aus, die Menschen, die die Erntedankgottesdienste besuchen, auch. Erntedank ist in unserer eher ländlich geprägten Region ein wichtiges Fest, obwohl nicht mehr viele in der Landwirtschaft arbeiten. Aber auch in großen Städten erfreut sich das Erntedankfest großer Beliebtheit. Wir nehmen nicht nur die Feld- und Gartenfrüchte in unseren Dank auf, sondern ebenso die anderen Dinge, die uns am Leben erhalten: unsere Arbeit, unser ganzes Tun und Können, was uns geschenkt wird, was uns zusteht.
Die Erde ist reich gesegnet mit den Gütern Gottes. Es ist alles da, was wir brauchen. Selbst wenn bei uns die Ernte nicht gut ausfällt, leiden wir nicht Hunger. Die globalisierte Wirtschaft kann den Mangel an der einen Stelle durch den Überfluss an anderer Stelle ausgleichen.
Wir haben jedoch andererseits die Erfahrung, dass dieser Reichtum nicht alle erreicht. Noch immer gibt es Menschen, die hungern, die keinen Zugang zu gesundem Trinkwasser haben, und das, obwohl es eigentlich nicht so sein müsste. Nicht alle Menschen können von Herzen dankbar sein, für das, was sie empfangen. Das betrifft nicht nur die Hungernden, sondern auch die Menschen in unserer Nähe. Und immer stellt sich die Frage, was ich hätte dagegen tun können.
Das Erntedankfest stellt die Frage, ob ich meiner Verantwortung der Schöpfung Gottes gegenüber gerecht geworden bin. Ob ich alles getan habe, was in meiner Macht steht, um die Gaben Gottes gerecht zu verteilen, mich mit allen meinen Gaben für Gerechtigkeit eingesetzt habe. Haben wir uns immer korrekt verhalten, immer das Beste aus den Gaben Gottes, aus unseren Begabungen herausgeholt? Zu unserem Wohl, zum Wohle unserer Lieben, zum Wohle der Menschheit und – natürlich! – zur Ehre Gottes?
Kann uns das Erntedankfest darüber hinweghelfen, dass wir immer wieder merken, dass wir an unseren eigenen Ansprüchen scheitern? Dass wir der Not anderer manchmal mit Gleichgültigkeit begegnen, weil unsere Kräfte nicht dazu reichen, die ganze Welt mit ihrer Not zu retten?
Da gibt es Menschen, die aus der Not der anderen Profit schlagen. Die ihre eigenen Interessen höher stellen, als das Wohl, manchmal sogar als das Leben anderer. Wir entdecken sie an den Schaltstellen der Macht, sie entscheiden über Krieg und Frieden, über Gesundheit und Ernährung. Und es gibt auch die Menschen wie du und ich, denen der Blick über den Tellerrand schwerfällt. Die genug Sorge haben, ihr eigenes Leben auf die Reihe zu bringen, so dass sie kaum an andere denken können.
Wir bestehen nicht aus Schwarz und Weiß, die Guten hier und die Bösen dort. Jeder von uns entdeckt in sich die Möglichkeiten: das Gute zu tun und das Böse zu lassen, die Bequemlichkeiten, Gedankenlosigkeiten, Egoismen, Fehler und Schwächen.
Jesus Christus sagt: Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (Matthäus 5,45).
Das Erntedankfest ist keine Schauveranstaltung. Es geht nicht darum, zu zeigen, welchen Reichtum die Ernte in Feld und Garten gebracht hat. Vielmehr erinnert es uns an den Segen, den Gott unserer Erde schenkt. Sein Segen ist keine Belohnung für die Guten, sondern ein Geschenk für alle Menschen.
Gleichzeitig wird dieser Segen auch zur Herausforderung. Wir erkennen darin Gottes Wille für seine Schöpfung, unsere Welt: dass die Reichtümer zum Wohle aller genutzt werden.
Für die gute Ernte zu danken ist gut und richtig. Doch damit fängt das Erntedankfest erst an. Es führt uns in unsere Verantwortung. Es gibt uns einen Einblick darin, dass Gott uns Menschen liebt und uns wohl will. Es gibt uns die Möglichkeit, die eigenen Gaben und den eigenen Reichtum für unsere Welt einzusetzen. Es ist Jesus Christus der uns immer wieder zeigt, dass es sich lohnt das Wagnis der Verantwortung einzugehen, die Gefahr des Scheiterns mit eingeplant. Es ist ja möglich, immer wieder von vorn anzufangen, den Segen Gottes zu empfangen und zu teilen. Erntedank ist immer.
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