Moment mal
von Pfarrer i.R. Reinhard Worch
Luther und die Suche nach guter Regierung
Luthers Ansicht über die „Obrigkeit“ war tief im mittelalterlichen Denken verwurzelt. Für ihn bestand kein Zweifel, sie war von Gott eingesetzt.
Andererseits stößt Luther in seinem politischen Denken wie auch bei anderen Themen die Türen zur Neuzeit auf. Er kritisiert nicht nur den Klerus. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er Verfehlungen und Ungerechtigkeiten der Fürsten ins Visier nimmt. Er geht sogar so weit zu sagen: „Funktioniert die Regierung nicht, muss das Volk regieren.“ Seinen Mut hat er bewiesen, als er Auge in Auge 1520 beim Reichstag in Worms vor dem Kaiser stand, der ihn aufforderte, seine Schriften gegen die Kirche zu widerrufen. Luther behauptete sich. Solange seine Ansichten nicht mit der Bibel widerlegt werden können, werde er nicht widerrufen. Denn sein Gewissen sei allein dem Wort Gottes gegenüber verantwortlich. Gegen sein Gewissen könne er nicht handeln. Mit dieser Haltung zeigte sich hier bereits der moderne, selbstbewusste Mensch. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir!“, soll er dem Kaiser ins Gesicht gesagt haben.
Er als „Untertan“ versteht sich nicht mehr als ein der „Obrigkeit“ bedingungslos Unterworfener.
Die grundsätzliche Freiheit eines jeden Menschen ist für Luther allerdings eingebettet in eine Verantwortung für alle anderen, mit denen ich lebe, und für das ganze Umfeld, in dem ich lebe. Das gilt gleichermaßen für Regierende wie für Regierte. Mit einem berühmten Satz bringt Luther auf den Punkt, wie Freiheit und Verantwortung im bürgerlichen und politischen Handeln zu verknüpfen sind: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan; ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Gewiss, die Zeiten haben sich geändert. Die Volksvertretung wurde in unserem Lande gewählt, die Regierung muss noch gefunden werden. Wie die „Obrigkeit“ mit der Freiheit ihrer Macht verantwortlich umzugehen hat und die Freiheit der „Untertanen“ schützt, wie sie die Bürger aber auch zur Verantwortung herausfordert, dazu hat Luther vier Ratschläge.
- „Ein Fürst soll mit ganzem Herzen für seine Untertanen da sein. Das kann er aber nur dann tun, wenn er ganz darauf ausgerichtet ist, ihnen nützlich und dienlich zu sein. Er darf nicht denken: ‚Land und Leute sind mein Eigentum und ich kann machen, wie’s mir gefällt.’ Er soll sich bewusst sein: ‚Ich bin für das Land und die Leute da, und soll machen, was für sie nützlich und gut ist und sie im Frieden beschützt leben können.’ Er handle so, als wären die Bedürfnisse seiner Untertanen sein eigenes Bedürfnis. Denn so hat uns Christus getan, und das sind die Werke eigentlicher christlicher Liebe.“
- Als Zweites ist es erforderlich, dass er auf die großen Hansen (heute: Lobbyisten), auf seine Räte acht habe und sich ihnen gegenüber so verhalte, dass er keinen verachte, aber sich auch auf keinen allein verlasse. Denn das ist der größte Schaden an den Herrenhöfen, wenn ein Fürst seine Entscheidungen den großen Hansen und Schmeichlern in die Hände gibt und seine eigene Meinungsbildung vernachlässigt. Denn, wenn ein Fürst Fehler macht und närrisch ist, betrifft es nicht nur einen Menschen, sondern Land und Leute müssen solches Närrischsein ausbaden.
- Als Drittes muss er darauf acht haben, dass er mit Übeltätern gerecht verfahre. Deshalb darf er nicht den Räten und Eisenfressern (Kriegstreibern) folgen, die ihn aufhetzen, auf Gewalt setzen, und die am liebsten wegen eines Schlosses Krieg anzetteln und damit das ganze Land in Gefahr bringen. Wenn Unrecht nicht ohne größeres Unrecht beseitigt werden kann, da verzichte er auf sein gutes Recht.
- Zuletzt (das wohl das erste sein sollte) soll sich ein Fürst Gott mit ganzem Vertrauen unterwerfen und ihn um Weisheit bitten, gut zu regieren.“
Diese Ratschläge aus dem Traktat: “Von weltlicher Obrigkeit, eine ernste Mahnung und Warnung an die Fürsten“ (1523) setzen für politische Entscheidungen auch heute noch Maßstäbe.
Reinhard Worch
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