Moment mal
von Pfarrer Albrecht D. Preisler
Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn, denn wenn’s ihr wohl geht, geht’s auch euch wohl, schreibt der Prophet Jeremia (Jer 27,9).
Es ist dunkel. Die Glocken läuten. Vor der Kirche steht eine Tafel aus Pappe. Friedensgebet liest man. Heute 19 Uhr. In den Aufgängen der benachbarten Häuser stehen Männer mit breiten Schultern und engen Jacken. Sie stehen immer zu zweit. Jeder weiß, wer sie sind. Jeder weiß, dass sie sich jeden Augenblick in Bewegung setzen können. Angst und Trotz gehen mit zum Friedensgebet im Herbst 1989.
In Vorbereitung auf das große Reformationsjubiläum 2017 beschäftigt sich in diesem Jahr die evangelische Kirche mit dem Verhältnis zwischen Politik und Kirche. Kirche und Politik haben gemeinsam eine interessante und wechselvolle Geschichte. Nicht immer verlief diese Geschichte aus heutiger Sicht glücklich.
Viele wünschen sich deshalb, dass die Kirche sich heutzutage aus der Politik heraushält und sich um „ihre“ Sachen kümmert. Aber das tut sie. Sie kümmert sich um ihre Sachen. Das tut sie auch dann, wenn sie sich zur Politik äußert.
Der Herbst 1989 hat gezeigt, was die Kirche zum politischen Leben beitragen kann. „Wir waren“, sagte später Horst Sindermann, „auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ Die Kirche war damals eng bei „ihrer“ Sache.
Es wird nie Aufgabe der Kirche sein, Politik konkret zu gestalten. Aber die Kirche kann zu verantwortungsvoller Politik ermahnen. Sie kann daran erinnern, dass der Mensch mit seiner unveräußerlichen Würde im Mittelpunkt des politischen Handelns stehen sollte, nicht in erster Linie die Fragen der Interessenvertretungen oder des Machterhalts. Gerade weil die Kirche kein politisches Mandat besitzt, kann sie ihrer politischen Verantwortung gerecht werden. Die Kirche kann keine bessere Politik machen, kann aber Politikerinnen und Politiker zu besserem Handeln herausfordern.
Dazu gibt es viel zu sagen. Es ist wunderbar in einem Land zu leben, dass die Achtung der Menschwürde und umfassende Freiheitsrechte im Grundgesetz garantiert. Alle Menschen sind berechtigt, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen, durch persönliches Engagement oder durch die Teilnahme an den Wahlen. Das ist gut. So kann jeder Mensch seiner Verantwortung vor Gott und seinen Mitmenschen gerecht werden. Weil die Kirche die freiheitliche Grundordnung und die demokratische und rechtsstaatliche Verfassung unseres Staates bejaht, gibt es auch viele Bereiche der Zusammenarbeit. Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn, denn wenn’s ihr wohl geht, geht’s auch euch wohl, schreibt der Prophet Jeremia (Jer 27,9).
Immer wieder gibt es aber auch Punkte, an denen die Stimme der Kirche wichtig ist und bleibt, sei es auf dem Gebiet der Friedensethik oder im Hinblick auf die Gestaltung wirtschaftlicher Prozesse: Die Kirche erinnert immer wieder daran, dass nicht Wachstum und Wohlstand das Eigentliche der Politik sind, sondern die Sorge um den Menschen und die Achtung seiner Würde. Dazu gehört auch immer wieder daran zu erinnern, dass die Menschenwürde nicht an den Grenzen unseres Landes oder Kontinentes plötzlich endet.
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