Moment mal
von Pfarrer Sacha Sommershof
Die wichtigste unwichtigste Sache der Welt
Nun rollt er wieder der 410 Gramm schwere Lederball und die ganze Welt schaut ihm zu. Es ist Fußball-WM in Brasilien. Für einige Wochen werden die Krisen der Welt ein wenig an den Rand gedrängt, ohne jedoch zu verschwinden, und selbst die Proteste im Gastgeberland spielen in der Berichterstattung angesichts von Vorrundenspielen, die mal mehr, mal weniger überraschend ausgehen eine untergeordnete Rolle. Das darf man bedauern und sich immer wieder in das Bewusstsein bringen, aber auch ich kann mich von der Begeisterung am Fußball während der WM nicht freisprechen. Da überwiegt die Freude über das gute Spiel der favorisierten Mannschaft und die Schadenfreude über das Ausscheiden anderer. Und man findet sich plötzlich in der Gemeinschaft mit Menschen wieder, mit denen man eigentlich sonst nichts zu tun hat. Woher kommt diese integrative Kraft des Fußballs? Sicherlich daran, dass für viele Menschen Fußball, auch außerhalb einer WM, eine Herzensangelegenheit ist, die man mit dem Verstand gar nicht erklären könnte. Oder warum ist jemand Anhänger dieses oder jenes Vereins? Martin Luthers Worte kommen mir da in den Sinn: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“. Und in der Tat kann man viele Parallelen zwischen christlicher Religion und Fußball entdecken. Auch bei der WM kann man dies wieder gut beobachten: Da bekreuzigen sich Spieler und beten vor dem Anpfiff. Die Anhänger versammeln sich an besonderen Orten und ohne ein gewisses Maß an praktischer Einübung geht es nicht. Doch dann werden gemeinsam Lieder gesungen und Rituale gepflegt, bis hin zu einer einheitlichen Kleidung, die alle Unterschiede zwischen den Menschen, die dort zusammen sind und die sonst eine gesellschaftliche Rolle spielen, ausblendet. Manchmal gibt es auch Wunder und letztendlich entziehen sich die Ergebnisse der eigenen Verfügbarkeit.
Für manche ist deshalb der Fußball zu einer neuen Religion geworden bis dahin, dass vom Fußballgott geredet wird, sicherlich nur spaßeshalber, aber einer gewissen magischen Haltung können sich Fußballspieler und -anhänger nicht entziehen. Doch am Ende bleibt Fußball nur ein Spiel, denn zur christlichen Religion gibt es wenigstens zwei entscheidende Unterschiede, die beides unverwechselbar machen. Im christlichen Glauben soll es zum einen nicht um einen Wettstreit gehen, bei dem einer besser ist als der andere. Der Glaube an einen unterschiedslos liebenden Gott, die Gemeinschaft aller, die ihre Hoffnung auf Trost und Gnade hin ausrichten, lässt keinen Raum für ein Gegeneinander und schon gar nicht für eine Vereinnahmung Gottes für eigene Ziele. Und zum anderen hilft Fußball bei aller Begeisterung nicht in den existenziellen Frage des menschlichen Lebens, sondern stiftet Sinn immer nur für 90 Minuten.
Ich wünsche Ihnen verwechslungsfreie Fußball-Wochen und begeisterte Stunden mit der, wie es ein berühmter Kirchenmann einmal sagte, wichtigste unwichtigste Sache der Welt.
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