Moment mal
von Pfarrer Christian Gogoll
Unterschied
Eine Frau lag im Koma. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sie käme in den Himmel und stände vor dem Richterstuhl.
„Wer bist du?“, fragte eine Stimme.
„Ich bin die Frau des Bürgermeisters“, erwiderte sie.
„Ich habe nicht gefragt, wessen Ehefrau du bist, sondern wer du bist.“
„Ich bin die Mutter von vier Kindern.“
„Ich habe nicht gefragt, wessen Mutter du bist, sondern wer du bist.“
„Ich bin Lehrerin.“
„Ich habe nicht nach deinem Beruf gefragt, sondern wer du bist.“
Und so ging es weiter. Alles, was sie erwiderte, schien keine befriedigende Antwort auf die Frage zu sein: „Wer bist du?“
„Ich bin eine Christin.“
„Ich fragte nicht, welcher Religion du angehörst, sondern wer du bist.“
„Ich bin die, die jeden Tag in die Kirche ging und immer den Armen und Hilfsbedürftigen half.
„Ich fragt nicht, was du tatest, sondern wer du bist.“
Offensichtlich bestand die Frau die Prüfung nicht, denn sie wurde zurück auf die Erde geschickt. Als sie wieder gesund war, beschloss sie, herauszufinden, wer sie war. Und darin lag der ganze Unterschied.
(Anthony de Mello)
Die Frau in der Geschichte von A. de Mello hatte Glück, sie bekam eine neue Chance. Nun wusste sie, was zu tun war und worin der Unterschied lag. Sie erkannte die Notwendigkeit, sich genau dieser Frage zu stellen.
Unser ganzes Leben gleicht einer Suche.
Es ist die Suche nach der Antwort auf diese Frage.
In der Geschichte ist es Gott, der fragt. Aber in unserem Alltag? Sind wir es nicht selbst, die sich das immer wieder fragen? „Wer bist du eigentlich wirklich? Was möchtest du eigentlich wirklich?“
Für mich steckt hinter dieser Fragestellung eine tiefe Sehnsucht. Die Sehnsucht danach, dass ich nicht nur meine Rolle zu spielen habe und mich so verhalte, wie ich meine, dass wiederum andere es von mir erwarten. Ich möchte mich nicht verbiegen müssen, sondern ich möchte wahrhaftig mein Leben führen und natürlich auch wahrhaftig und offen meine vielen Funktionen ausfüllen. Ich möchte eigentlich weniger die Erwartungen anderer an mich erfüllen, sondern vielmehr das vertreten, von dem ich wirklich überzeugt bin. Und ich möchte natürlich nicht aus den Augen verlieren, wer ich wirklich bin und was ich wirklich möchte. Aber darüber muss ich mir erst einmal im Klaren sein.
Freie Zeiten oder Urlaubzeit können helfen, sich dieser Frage anzunähern und klar darüber zu werden, wie und wo ich meinen Alltag verändern muss, damit ich mich selbst nicht aus dem Blick verliere.
Gott ist barmherzig, die Frau kann neu anfangen. Von dieser Barmherzigkeit leben wir alle.
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