Moment Mal
von Pfarrerin Anna Trapp
Da klingt doch was. Neu und doch alt. Ungewohnt und doch altvertraut. Der Stundenschlag der Bad Wilsnacker Turmglocke erklingt nach rund 20 Jahren der Ruhe wieder und sorgt für Gesprächsstoff. Immer wieder werde ich als Pfarrerin auf die Glocke angesprochen und freue mich, dass dieser Schatz der Geschichte heute wieder ertönt und etwas in vielen Menschen anklingen lässt.
Seit 1613 hängt sie im kleinen Dachreiter auf der wuchtigen Kirche und kündet mit ihren Schlägen welche Stunde es geschlagen hat, denn sie wird nicht geläutet wie die anderen Glocken, sondern von einem Hämmerchen angeschlagen. Zur halben einmal und zur vollen Stunde in Höhe der Stundenzahl. Diese kleine Glocke geht so mit dem Leben mit. Ihre lateinische Inschrift aus dem Johannesevangelium lautet: Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden.
Unsere Zeit liegt nicht in unseren Händen, daran erinnert der Glockenschlag. In einer Welt in der für uns Menschen viele Grenzen nicht mehr gelten, mahnt uns die Glocke auch die Unverfügbarkeit des Lebens zu respektieren und darin Trost zu finden. Gott schenkt uns das Leben, in seine Hand kehrt es zurück. Wir Menschen können in der uns geschenkten Zeit darauf sehen, sie sinnvoll zu nutzen. Wir müssen uns nicht um unser Leben sorgen – wir können ihm keine Spanne hinzufügen. Wir dürfen danach sehen, es zu leben: Menschen zu berühren, das Wunder des Lebens zu bestaunen, einen Unterschied zu machen.
Es gibt einige Anwohner, die den alt-neuen Glockenschlag kritisieren, weil er die Ruhe stört, weil sein Ton den Alltag oder das Wochenende, besonders auch das Ausschlafen stört. Aber genau diesen Aspekt schätze ich am Glockenschlag. Wie lange wird es wohl dauern, bis man diesen Klang wieder überhört, weil er sich ins Leben integriert? Viel zu schnell, befürchte ich. Dabei ist die Unterbrechung, das Hinhören wichtig. Denn unsere vermeintlich heile Welt braucht Störung. Glocken erklingen nicht selbstverständlich. An vielen Orten sind Glocken, die Friedensmahner durch die Geschichte hindurch verschwunden. Sie wurden eingeschmolzen oder zerstört, doch unsere kleine Stundenglocke hat die Kriege, die dieses Land gesehen hat, unbeschadet überstanden. Sie gibt uns auch Grund zu danken, dass wir hier in Frieden leben und sie gibt uns Anstoß weiter für den Frieden in der Welt zu beten, der so unerreichbar scheint.
Natürlich ist ein Stundenschlag erst einmal ein profaner Glockenton, er ist nicht durch das Recht der Religionsfreiheit geschützt, wie das Geläut zum Gottesdienst. Aber bei dem Gebimmel und Gesurre und Geklingel, dass sonst unseren Alltag beherrscht, empfinde ich den Glockenschlag eher als einen Ausdruck von Ruhe. Aber das empfindet wohl jeder Mensch anders. Ich möchte über die Glocke, ihren Wert im Lebensrhythmus und die ganz persönlichen Geschichten die mit ihr verbinden im Gespräch bleiben. Im 3. Kapitel des Prediger heißt es: Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Jetzt, wo wir wieder hören können, welche Stunde es schlägt, sollte dazu Zeit sein.
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