Wort zur Woche

Ich stehe in dem kleinen Kellerabteil, das zur Wohnung meines Vaters gehört. 89 Jahre Lebensgeschichte gehen durch meine Hände. Mein Vater wird in eine altersbetreute Wohnung ziehen, und deshalb stehen nun wir als Familienangehörige vor der Aufgabe, seinen Haushalt so zu verkleinern, dass er in eine 40 m² große Wohnung passt. Da muss einiges aussortiert werden.

Heute nehme ich mich des Kellers an, vielleicht 5 m² bis obenhin gefüllt mit Erinnerungen. Fotoalben, Unmengen an Dias, Bücher, viel Deko, Weihnachtbaumschmuck, Töpfe und vieles mehr – alles nehme ich nach und nach in die Hand. An vielen Dingen hängen Kindheitserinnerungen von mir. Diese Lichterkette in Kerzenform hing immer an unserem Weihnachtsbaum. Das war das erste Buch, das ich von Karl May gelesen habe: „Durchs wilde Kurdistan“. Mich überrascht es, dieses Buch hier zu finden.

Wehmütig werde ich beim Durchgehen der alten Fotoalben. Hochzeitsfotos meiner Eltern – wie jung sie damals waren, meine Brüder und ich als Kinder bei einem Familienausflug, Fotos von Verwandten und Bekannten, vertraute Gesichter – viele leben heute nicht mehr.

„Alles hat seine Zeit.“ Dieser Satz aus der Bibel kommt mir in den Sinn. Umgeben von Dingen aus meiner Kindheit erinnere ich mich an verschiedene Zeiten, die ich erlebt habe. Vieles, an das ich schon länger nicht mehr gedacht habe, fällt mir wieder ein. Und mir wird dabei deutlich, was sich mittlerweile alles verändert hat, wie vergänglich das Leben ist.

„Alles hat seine Zeit.“ Es gab eine Zeit, als wir zusammen fröhlich Geburtstag feierten. Und es gab eine Zeit, als wir bei einer Beerdigung traurig Abschied nehmen mussten.

Ich nehme mir die alten Fotoalben und gehe damit hinauf in die Wohnung meines Vaters. Wir schauen uns die alten Bilder an. Er hat sie die letzten 10 Jahre nicht mehr in der Hand gehabt. Gemeinsam erinnern wir uns, freuen uns und lachen, sind gemeinsam traurig und nachdenklich. Wir haben einen sehr schönen Nachmittag zusammen. Den Keller werde ich später weiter ausräumen müssen. Alles hat seine Zeit.